Disziplinen der nachrichtendienstlichen Informationsgewinnung im Kontext der Wirtschaftsspionage

26.03.2018

Bereits der englische Philosoph Francis Bacon (1561-1626) verlautete “Wissen ist Macht”. Getreu diesem Leitgedanken nutzen staatliche und privatwirtschaftliche Institutionen vielfältige Disziplinen zur Beschaffung von möglichst validen Informationen. Trifft dies auf die Motivation vertrauliche Unternehmensdaten zu gewinnen, um einen wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen, kann es ernsthafte Folgen für den Betroffen haben. Vor allem der Wirtschaftsstandort Deutschland steht mit seiner Spitzentechnologie im Visier vieler Konkurrenzunternehmen. Aber auch fremde Nachrichtendienste haben ein außerordentliches Interesse zur Stärkung ihrer heimischen Wirtschaft und betreiben aktiv Wirtschaftsspionage.

Im Folgenden werden drei relevante Disziplinen zur Informationsabschöpfung vorgestellt, um einen ersten Überblick zu verschaffen. Besonderes Augenmerk wird auf den digitalen Wandel gelegt, der durch seine Dynamik und Effizienz die Art und Wichtigkeit dieser Disziplinen stets verändert. Die rechtliche und ethische Betrachtung der Disziplinen bleibt in dieser Ausführung außen vor.

Open Source Intelligence (OSINT)

Durch die Disziplin Open Source Intelligence ist eine weitreichende Informationsgewinnung aus öffentlich frei zugänglichen, nicht notwendigerweise kostenfreien, Quellen möglich. Dabei werden Informationen systematisch gesammelt, analysiert und auf den Empfänger angepasst aufbereitet.

Bis zum 20. Jahrhundert gab es im großen Umfang lediglich Druckerzeugnisse. Diese wurde anschließend durch elektronische Medien, wie Radio und Fernsehen, ergänzt. Eine Vervielfältigung dieser Quellen war zumeist ein aufwendiges Unterfangen. Heute sind dagegen die Möglichkeiten der Recherche und Reproduktion durch das Internetzeitalter enorm gestiegen. So ist der schnelle und freie Zugang an große Informationsmengen für jedermann legal, gefahrlos und preiswert möglich.

Beispiele aus dem Spektrum der öffentlich zugänglichen Informationsquellen:

• Medien (Print und online): Presseerzeugnisse, Fachliteratur, wissenschaftliche Veröffentlichungen, Werbeprospekte
• Internet: Suchmaschinen, Blogs, Soziale Netzwerke, Jobportale, webbasierte Anwendungen, Datenbanken, Geodaten
• Institutionen: Behörden, Think Tanks, NGOs, Universitäten, Berufsverbände
• Veranstaltungen: Tagungen, Konferenzen, Messen

Infolge OSINT kann ein grundlegendes Lagebild über einen Sachverhalt gebildet werden. Es bietet zudem eine robuste Basis für andere Disziplinen. Im Allgemeinen gelten Open-Source-Informationen als aktuell und sind bereits in der frühen Phase einer eventuellen Krise gegenwärtig. Wird der Blickwinkel auf OSINT verändert, so kann diese Disziplin für die strategische Ausrichtung eines Unternehmens genutzt werden. Denn mit Hilfe der Konkurrenzanalyse (Competitive Intelligence) können die Aktivitäten der Wettbewerber verfolgt und Chancen sowie Risiken rechtzeitig erkannt werden.

Die weltweite Abschöpfung von öffentlichen Informationen hat jedoch Risiken. Es ist schwierig und aufwendig aus deren Überfluss, die für den Sachverhalt relevante Information aufzuspüren und zu verifizieren. Um valide Detailinformationen zu erlangen, ist eine Bestätigung durch dritte unabhängige Quellen notwendig. Denn nur, weil ein Fakt vielmals öffentlich auftaucht, muss er nicht belastbar sein. Vor allem die aktuellen Vorfälle zum Thema Fake News zeigen dies auf. Daher werden weitere Disziplinen der Informationsgewinnung genutzt.

Human Intelligence (HUMINT)

Die Informationsgewinnung durch menschliche Quellen wird Human Intelligence bezeichnet. Sie ist die Kernkompetenz vieler Nachrichtendienste, da ein komplexer Vorgang verstanden werden muss – die menschliche Psyche. Für den Informationsaustausch bedarf es mindestens zweier Personen. Dieser Austausch erfolgt entweder aktiv, also aus eigenem Antrieb des Informationsgebers heraus, oder passiv, ohne des Wissens eines Informationsabflusses.

Nicht selten sind es (ehemalige) Mitarbeiter, die infolge von geeigneten Anreizen wichtige Interna freigeben. Mögliche Anreize sind monetäre Mittel, ideologische Gründe, Frustration oder ein wirksames Druckmittel.

Aber auch durch das subtile Ausnutzen einer Gesprächssituation, wie bei einem Messebesuch, können mit Hilfe geschickter Fragetechniken weitreichende Erkenntnisse erhoben werden. Insgesamt sind die Grenzen zwischen HUMINT, OSINT und dem Social Engineering, der sozialen Manipulation zur Täuschung, um vertrauliche Informationen zu gewinnen, fließend. Gerade durch soziale Netzwerke, wie Facebook, Xing oder LinkedIn wird das Aufspüren von geeigneten Zielpersonen vereinfacht. Sind diese nicht hinreichend sensibilisiert, können die Netzwerke zu einem Einfallstor fürs Social Engineering werden.

Der große Vorteil dieser Disziplin liegt aufgrund der operativen Informationsbeschaffung in der Detailtiefe einer Erkenntnis sowie der Möglichkeit gezielt danach zu fragen. Gleichzeitig birgt es jedoch durch den zwischenmenschlichen Kontakt ein höheres Risiko für den Informationsgeber und -nehmer sowie deren Reputation. Um dieses Problem zu minimieren, können elektronische Hilfsmittel und Methoden, wie in der folgenden Disziplin, angewendet werden.

Signals Intelligence (SIGINT)

Infolge der zunehmenden Vernetzung und der stetig anhaltenden Verkleinerung elektronischer Systeme, gewinnt SIGINT stetig an Bedeutung. Hierbei handelt es sich um die Informationsgewinnung durch elektronische Maßnahmen, wie zum Beispiel das Abhören von Telefonaten und Besprechungsräumen, der visuellen Überwachung mittels Kamera oder das Mitlauschen einer Funktastatur.
Diese Disziplin teilt sich in eine Vielzahl von Bereichen auf, deren scharfe Trennung aufgrund der stetigen Neu- und Weiterentwicklung von Technologien nicht möglich ist. Die für die Wirtschaftsspionage relevanteste ist Communication Intelligence (COMINT) – das Abhören von Kommunikationsübertragungen. Dazu gehört die Überwachung des Sprach- und Fernschreibverkehrs, Videoübertragungen sowie Faxnachrichten. Das zu überwachende Übertragungsmittel kann sowohl leitungsgebunden, wie ein Kabel, als auch Funkübertragungen sein. Die zukünftigen Entwicklungen werden besonders bei SIGINT noch viele Gefahren und Chancen ermöglichen.

Weitere Disziplinen

• Imagery Intelligence (IMINT) – Informationsgewinnung durch bildgebende Systeme, wie Satelliten und Luftbilder
• Financial Intelligence (FININT) – Informationsgewinnung über finanzielle Angelegenheiten
• Measurement and Signatures Intelligence (MASINT) – Informationsgewinnung durch verschiedenartige Sensoren zur wissenschaftlichen Analyse von Aktivitäten, wie Prototypen-, Waffen- und Nukleartests

Vor allem ressourcenstarke Institutionen verfolgen einen multidimensionalen Ansatz der Informationsgewinnung. Sie bedienen sich aus zahlreichen Disziplinen, um ein gesichertes Lagebild zu bekommen.

Keep in Mind

• Staatliche und privatwirtschaftliche Institutionen können vielfältige Disziplinen zur Informationsbeschaffung nutzen, um vertrauliche Unternehmensdaten zu gewinnen
• Die Disziplinen unterliegen dem stetigen digitalen Wandel
• OSINT: Open Source Intelligence – Informationsgewinnung aus öffentlich frei zugänglichen Quellen
• HUMINT: Human Intelligence – Informationsgewinnung durch Nutzung von menschlichen Quellen
• SIGINT: Signals Intelligence – Informationsgewinnung durch elektronische Maßnahmen
• Die Kombination möglichst vieler Disziplinen erhöht den Umfang und die Validität der Informationen

Quellen:
Tsolkas, A. & Wimmer, F. (2013). Wirtschaftsspionage und Intelligence Gathering. ISBN 978-3-8348-1539-2.
Fleischer, D. (2016). Wirtschaftsspionage. ISBN 978-3-658-11988-1.

Anmerkung Seitens der Privatimus GmbH: Dies ist ein Blogbeitrag von Christian Kluge.

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